Allgemeine Zeitung Alzey vom 27.04.2004 / Autor: Claus Rosenberg
Großmeister Jussopov zieht Heimersheims Schachspieler in seinen Bann
Der Schachsport wäre sehr gut als Schulsport geeignet. Diese Auffassung vertrat Großmeister Artur Jussupov am Rande eines Seminars in Heimersheim: “Die Sportart schult Fähigkeiten, die die Kinder- und Jugendbildung fördern”, so der Solinger Bundesliga-Spieler.
Jussupov, der “Beckenbauer des Schachsports”, wie ihn Ralph Biewer, der Vorsitzende der Heimersheimer Schachfreunde, charakterisierte, weiß wovon er spricht. Er selbst hat in seiner ehemaligen Heimat Moskau eine Eliteschule zur Ausbildung von Schachspielern besucht. Perfektioniert hat er dort Konzentrationsvermögen, Disziplin und die Fertigkeit, Entscheidungen zu treffen und auf deren Konsequenzen zu reagieren. “Schach ist wie das Leben”, philosophierte der 43-Jährige mit dem Rauschebart: Eine Verkettung von Zügen und Fehlern, an deren Ende der Erfolg stehen soll.
Eine ungeheure Ruhe und Ausgeglichenheit strahlte der deutsche Nationalspieler aus, als er mit erheblicher Verspätung in Heimersheim zu seinem Seminar mit dem Thema “Wie vermeide ich Fehler” eintraf. Aufgehalten hatte ihn ein Verkehrsunfall – zumindest zeitlich, nicht aber persönlich: “Es gibt weder ein Schachspiel, noch ein Leben ohne Fehler. Man muss aber das Beste draus machen”, schien er als stille Botschaft zu verbreiten.
Sehr sorgfältig überlegte der Weißenhorner, was wohl der größte Fehler seines Lebens war: “Ein Raubüberfall in Moskau”, sagte er dann: “Ich hätte damals besser die Tür nicht aufgemacht, als es anklopfte. Hinterher ist man halt klüger.”
Weil der Verkehrsunfall glimpflich abgelaufen war und er wohl auch unschuldig darin verwickelt wurde, hatte der Mannschafts-Weltmeister – seinerzeit mit dem sowjetischen Team – keinen Grund, seinen Besuch in Heimersheim als Fehler zu bereuen. Ganz im Gegenteil: Die Schachfreunde bereiteten ihrem prominenten Gast, der Vishi Annand bei dessen WM-Titelkämpfen gegen Garrik Kasparow und Anatoli Karpow betreute, einen warmherzigen Empfang in der Alten Dorfschule. Neben vielen Schachbrettern gab es ein Büffett mit belegten Brötchen, Kuchen und Schokolade. Das geriet in Anbetracht des Heißhungers, mit dem die Köpfe der 17 Seminarteilnehmer auf Input des Profis warteten, zur Nebensache.
Weniger Schachbegeisterte hätten die Prioritäten wahrscheinlich anders gesetzt, wären nach der Devise verfahren, erst der Bauch, dann der Kopf. Von dieser Sorte Menschen gibt es noch zu viele, finden die Heimersheimer. Sie bedauern, dass der Schachsport nicht die Popularität genießt, die sie gerne sähen. Vielleicht wie in Russland, wo sich die Jagd auf den König einer ebensolchen Beliebtheit erfreut wie “in Brasilien das Fußball-Spiel”, verglich Jussopow. Diesem Beispiel nachzueifern, daran arbeiten die Heimersheimer.